Kabarettist Wolfgang Schaller feiert im April seinen 85. Geburtstag. Seit 55 Jahren ist sein Name mit der Dresdner „Herkuleskeule“ verstrickt – und er kann und will sich da auch nicht rauswinden. Rund 50 Programme hat er für das politische Kabarett geschrieben. Und wenn er die satirische Bühne auch nicht mehr leitet (das hat sein Sohn Philipp übernommen), so steht er doch noch immer auf ihr – am liebsten mit seiner Frau Birgit. „Eh Ichs vergesse“ – deklamieren die beiden im gleichnamigen Programm in der Keule.

Und damit Schaller nichts vergisst und noch viel weniger seine politische aufgeweckten Fans, hat er alles aufgeschrieben. Drei Bücher zeugen von seinen besten Kolumnen und Gedanken, die er in über 30 Jahren für die Sächsische Zeitung schrieb. Sie füllen ein viertes, das am 17. März in der Eulenspiegel Verlagsgruppe erscheint: „Zeitenwände. Atemlos durch die Macht und andere satirische Jahresringe“ (300 Seiten, 15 Euro). Die Bundestagswahl ist vorbei, die Probleme bleiben. Grund genug für Wolfgang Schaller, auf die vergangenen Jahre zurück zu blicken. Er reflektiert das Zeitgeschehen mit viel Beobachtungsgabe und Humor, eine kluge wie spitze Pointe folgt der nächsten.
Hier vorab ein Auszug aus dem Buch „Zeitenwände“ von Autor Wolfgang Schaller:
September 2024: Die neuen Leiden des alten W. – Wie ich einen schönen Abend als Kabarettist verbrachte
Ich hätte die Veranstaltung nicht annehmen dürfen, aber Frau Lindenköfer vom Biomilchhof Weidenau hatte am Telefon derart charmant für das Festwochenende unter dem Motto »Du und deine Kuh« geworben, dass meine Absage wie Tierquälerei geklungen hätte.
Frau Lindenköfers Telefonstimme bekam einen erotischen Klang, als sie von ihrer Pflicht als CDU-Mitglied zur christlichen Nächstenliebe für ihre Tiere sprach, sodass ich erst glaubte, ich solle vor ihren Kühen lesen. »Neinnein, es kommen auch meine Freunde aus der Milchbranche zu Ihrer Kabarettlesung, in unserer Kulturscheune ist schon mal die Volkstanzgruppe unserer Feuerwehr aufgetreten, die Zuschauer sind also kulturell vorgebildet.« Und dann fügte die erotische Stimme hinzu: »Sie können auch richtig scharf sein, die Milchbauern vertragen ’n Puff.«
Ich war verunsichert, ob die christliche Frau Lindenköfer so einen Puff wie in meinem Text verträgt, in dem ich erkläre, warum heute der liebe Gott aus der Kirche austreten würde und bei all den Skandalen um Kindesmissbrauch froh wäre, dass es ihn nicht gibt. Aber es soll jeder glauben dürfen, was er glaubt, meinetwegen auch, dass Jesus übers Wasser läuft oder an die unbefleckte Empfängnis, es sind andere schon für viel weniger in die Psychiatrie gekommen, und ich entschloss mich, niemanden zu provozieren.
Vielleicht wäre es besser, die Milchfreunde mit meinen gesammelten Politikerzitaten zu unterhalten, dergestalt, dass Helmut Kohl den schönen Satz gesagt hat: »Man kann das Problem der Tretminen nur Schritt für Schritt lösen.« Immer wenn mir selbst kein Gag einfällt, zitiere ich Politiker, zum Beispiel, dass Frau Merkel auf einer Wahlkundgebung in Dresden sagte: »In Dresden ist die Geburtenrate am größten. Und das haben wir alles unserem Ministerpräsidenten zu danken.« Und wenn ich dann noch hinzufüge, aus Angst vor der Vogelgrippe habe ein Bauer in Mecklenburg seine Frau getötet, nur weil sie Gänsehaut hatte, wäre der Abend gerettet.
Die Kulturscheune war mit Strohballen gefüllt, hinter denen ich mich zum Auftritt umzog, mitten unter Kühen, die mich misstrauisch musterten. Die auf Plastehockern hockenden Milchfreunde dagegen schauten heiter, was wohl nicht an der Milch, sondern am Bier lag. Bei meiner dritten Pointe muhte ein Ochse, was die Heiterkeit steigerte. Nur ein Milchfreund in der ersten Reihe schaute während meiner Lesung mürrisch nach vorn. Routinierterweise frage ich geistig abwesende Zuchauer immer, ob ihnen mein Programm gefalle. Fast immer höre ich ein Ja, so dass ich kontern kann: »Würden Sie das bitte mal Ihrem Gesicht mitteilen.«
Den Gag hab ich übrigens von Harald Schmidt geklaut. Ich klaue gern Pointen, aber immer mit Erlaubnis. Als Dieter Hildebrandt einmal den Satz sagte: »Wenn Lügen wirklich kurze Beine hätten, trügen Politiker Schlüpfer als lange Hosen«, bat ich ihn, mir die Pointe zu schenken. »Nimm sie nur«, sagte Hildebrandt, »ist ja auch nicht von mir.«
Die Milchfreude waren ein wunderbares Publikum, die es kaum auf den Hockern hielt, als ich über die untergehende Ampel witzelte und dass da einer der Olaf sein musste, und dass der Olaf, obwohl seine Partei bei Umfragen nur bei fünfzehn Prozent liegt, wieder Kanzler werden will, weil ja die SPD ein Jahr vor der letzten Bundestagswahl auch nur fünfzehn Prozent hatte, worauf der Olaf gesagt haben soll: »Ich hab damals schon gesagt, dass ich Bundeskanzler werde, damals hat man mich für einen Spinner gehalten, jetzt hat sich das bestätigt.« Über diesen Gag ging dann nichts drüber, obwohl ich das Zitat frei erfunden habe. Das Lachen war so fröhlich, dass die vier Glühbirnen flackerten, die statt Scheinwerfern Licht auf mein Pult sendeten, und ein bisher schweigsames Schaf blökte in der Scheune. Da flackerte es in den Augen der Milchfreunde, nur der Herr in der ersten Reihe hatte die ganze Zeit über nicht ein einziges Mal das Gesicht verzogen.
Aber nach dem Schlussbeifall kam er zu mir und sagte: »Vielen Dank für den Abend. Ich habe noch nie so gelacht wie heute.«

leben50-Tipp
Das Programm „Eh Ichs vergesse“ mit Wolfgang und Birgit Schaller steht an diesen Tagen auf dem Programm der Dresdner „Herkuleskeule“ im Untergeschoss des Kulturpalastes (Altmarkt): 28. März, 11. April, 16. April, 23. Mai, 26.Juni. Die Vorstellungen beginnen jeweils 19.30 Uhr. Tickets (ab 23 Euro)/Infos unter www.herkuleskeule.de.